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  • Margit Räuber-Mill

Schwierigen Emotionen begegnen und transformieren mit Achtsamkeit und Mitgefühl

Aktualisiert: 27. Aug.




Emotionen bestimmen unser Leben maßgeblich. Ausgelöst durch den Kontakt mit unserer Umwelt oder auch durch innere Phänomene, wie Gedanken, durchfließen uns jeden Moment Gefühle, die wir entweder als angenehm oder als unangenehm empfinden.


Aus diesen Empfindungen im unserem Inneren entstehen dann, oft blitzschnell und meist unbewusst, mehr oder weniger stark ausgeprägte Emotionen, wie Wut, Trauer und Angst oder Freude. Dieser Mechanismus ist evolutionär bedingt.


Emotionen haben eine wichtige Funktion. Sie weisen uns auf etwas hin, das uns wichtig ist, auf erfüllte bzw. unerfüllte Bedürfnisse. Aus der Perspektive der Evolutionsgeschichte haben wir Menschen all diese Emotionen, weil sie uns bzw. unseren Vorfahren halfen, zu überleben.


Emotionen lassen sich in drei Kategorien bzw. Systeme unterteilen:

  • Emotionen, die uns helfen, auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren (Bedrohungssystem)

  • Emotionen, die uns helfen, Ziele zu verfolgen, welche für unser Überleben und die Reproduktion notwendig sind (Antriebssystem)

  • Emotionen, die dafür sorgen, dass wir uns mit anderen verbinden können und wir uns sicher fühlen (Beruhigungssystem)


Yuval Noah Harari bezeichnet Emotionen als „…biochemische Algorithmen, die für das Überleben und die Reproduktion sämtlicher Säugetiere von entscheidender Bedeutung sind“ (Harari, Yuval Noah. Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen).


Sie sind Bestandteil eines uralten Überlebensprogramms, der uns Menschen in Urzeiten unser Überleben gesichert hat. Vor allem zur Abwehr gefährlicher wilder Tiere und zur Verteidigung gegenüber feindlichen Artgenossen. Dieser Mechanismus versetzt uns in die Lage, blitzschnell auf eine lebensbedrohliche Situation, z.B. mittels Kampf oder Flucht, reagieren zu können (sog. Fight- or Flight-Modus).


Der Überlebensmechanismus ist für uns Menschen auch heute noch in Situationen sinnvoll und notwendig, in denen es auf eine schnelle körperliche Reaktion ankommt. Zum Beispiel, wenn wir uns aus einer wirklich bedrohlichen Situation, wie vor Feuer oder aus einer Unfallsituation in Schutz bringen oder uns gegen eine Person, die uns körperlich angreift, wehren müssen.


Die allermeisten Situationen, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, sind aber keine wirklich lebensbedrohlichen Lebenssituationen, sondern v.a. leistungsbezogene und soziale, also zwischenmenschliche Anforderungs-Situationen. Hier ist der Überlebensmechanismus in Form einer emotional ausgelösten Stressreaktion wenig funktional und hilfreich.


Da schafft er uns im Gegenteil eher Probleme, weil die stressbedingte körperliche und emotionale Aktivierung eine konstruktive Bewältigung dieser Anforderungen nicht unterstützt, sondern sie eher behindert.


Emotionen bestimmen maßgeblich, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten und wie eng oder weit wir die Dinge sehen und sie beeinflussen unser Denken, unsere Motivation und unser Verhalten.


Eine Eigenschaft, die emotionale Zustände charakterisiert, ist die Tendenz, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit zu verfälschen In einem emotionalen Zustand verlieren wir die Fähigkeit klar und konstruktiv zu denken und wir verlieren unser Verständnis und Mitgefühl anderen gegenüber. Unsere Perspektive wird einseitig und verengt sich, sodass wir eine gegebene Situation nicht mehr in ihrem größeren Zusammenhang sehen können.


Emotionale Zustände wie z.B. Ärger oder Trauer, können sich mental und körperlich sehr unangenehm anfühlen. Wir verlieren unsere innere Stabilität und fühlen uns gestresst oder kraftlos. Unser Körper fühlt sich eng und angespannt an, unser Herz rast, unsere Brust, unser Hals ziehen sich zusammen und/oder anderes mehr.


Wichtig ist zu wissen bzw. zu erkennen, dass unsere emotionalen Reaktionen im Wesentlichen abhängig sind von unserer Bewertung der betreffenden Situation, von der Geschichte, die wir uns erzählen, von den Prozessen in unserem Gehirn, welches unsere Erfahrungen laufend interpretiert. Dies wiederum ist abhängig von unseren persönlichen Prägungen und Konditionierungen, die sich in und durch unser Leben ins uns gebildet haben.


Viele Probleme in unserem Leben entstehen erst dadurch, dass wir nicht auf Ereignisse reagieren, sondern auf unsere (meist unbewusste) Bewertung und Interpretation der Ereignisse. Unsere jeweilige Interpretation einer Situation, die völlig neutral sein kann, hat großen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen und wie wir reagieren.


Wenn wir uns unserer Gefühle, Gedanken und Emotionen nicht bewusst sind und uns von ihnen unbewusst leiten lassen, neigen wir dazu, aus der Emotion heraus unangemessen zu reagieren und sagen und tun dann möglicherweise Dinge, die wir im Nachhinein bereuen. Wir schleudern unserem Gegenüber vielleicht verletzende Worte entgegen, schreien ihn an oder „bestrafen“ ihn, indem wir uns verschließen und ihn/sie einfach ignorieren.


Es sind tatsächlich nicht so sehr die Ereignisse, Umstände oder Menschen verantwortlich, wie wir uns fühlen oder wie wir uns verhalten, sondern wie wir selbst diese Umstände und Ereignisse, uns selbst oder andere Menschen bewerten, wie wir darüber denken.


 

So erkannte bereits vor 2.500 Jahren der historische Buddha Shakyamuni:


„Den Dingen geht der Geist voran, der Geist entscheidet“

 

Und der griechische Philosoph Epiktet sagte:


„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,

sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben“.

 

 

Nun stellt sich die Frage, wie wir konstruktiv und flexibel mit emotionalen Herausforderungen umgehen können, weder ohne sie zu verdrängen noch ohne uns unbewusst von ihnen leiten und überwältigen zu lassen. Wie wir ihnen akzeptierend begegnen und wie wir sie sinnvoll regulieren können. Und wie wir es uns ermöglichen, mit Bedacht und Besonnenheit entscheiden zu können, wie wir reagieren wollen, so dass es mit unseren Werten und Bedürfnissen im Einklang steht.


Hier kann uns die Achtsamkeitspraxis, wie sie im Kurs „Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit“ systematisch und Schritt für Schritt vermittelt wird, wertvolle und wirksame Hilfe leisten.


Durch regelmäßige Achtsamkeitspraxis entwickeln wir nach und nach ein Gewahrsein, für das, was in unserem Inneren vor sich geht, welche Gedanken, Körperempfindungen und Gefühle in uns lebendig sind.


Wir lernen uns allmählich immer besser kennen und entwickeln ein Gespür für unsere inneren Erfahrungen und unsere typischen Reaktionsmuster.


Wenn wir uns unserer Gedanken, Körperempfindungen, Gefühle bzw. Emotionen - und der dahinter stehenden Bedürfnisse - bewusst sind, hilft uns das, konstruktiv auf Geschehnisse im Hier und Jetzt zu reagieren.


Wenn es uns im Alltagsleben dagegen an Achtsamkeit mangelt, verstricken wir uns leicht in unsere Gedanken und Emotionen. Unsere Sicht verengt sich. Wir sagen und tun dann bedauerliche Dinge, die bei uns selbst und anderen unnötiges Leid hervorrufen.


Achtsamkeit lässt sich durch die formelle und durch die informelle Praxis üben.


Zur formellen Praxis zählt die Sitzmeditation, in der wie nach Innen schauen und beobachten, was in uns so abgeht. So können wir uns unserer Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen bewusstwerden.


Bhante Gunaratana, ein buddhistischer Gelehrter der Theravada-Tradition beschreibt es so:


„Wir lernen, das Auftauchen von Gedanken und Wahrnehmungen

mit einem Gefühl von gelassener Distanz zu beobachten.


Wir lernen, unsere eigenen Reaktionen auf Reize

mit Ruhe und Klarheit zu betrachten.


Wir beginnen, uns selbst reagieren zu sehen,

ohne uns in den Reaktionen selbst zu verfangen“


Dies ermöglicht uns, aus unbewussten, automatischen Gedanken-, Emotions- und Reaktions-Mustern auszusteigen, die häufig zu Konflikten und Schwierigkeiten führen, und uns für ein bewusstes, selbst bestimmtes Denken und Handeln zu entscheiden, das im Einklang mit unseren Gefühlen, Bedürfnissen und Werten steht. Dadurch gewinnen wir immer mehr an innerer Freiheit.


Im Rahmen des Kurses Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit werden neben den klassischen Methoden der Achtsamkeitspraxis, weitere bewährte und hilfreiche Methoden vorgestellt und geübt, um speziell mit emotional herausfordernden Situationen von Ärger, Verwirrung, Schmerz oder Überforderung bewusst umgehen zu lernen. Durch gezieltes Innehalten und das Annehmen unserer Erfahrungen entwickeln wir die Fähigkeit, bewusstere und konstruktivere Entscheidungen zu treffen.


Eine solche Methode ist z.B. der R.A.I.N.-Prozess, dessen bekannteste Verfechterin die amerikanische Psychologin Tara Brach ist. R.A.I.N. ist ein Akronym, welcher die vier Schritte des Prozesses beschreibt, RECOGNIZING (Erkennen), ALLOWING (Zulassen), INVESTIGATING (Erkunden), NOURISHING (Nähren).


In den ersten beiden Schritten des Prozesses lernen wir, mit dem, was in uns vorgeht, in Resonanz zu gehen (RECOGNIZING), statt nur darauf zu reagieren, und die Erfahrung akzeptierend erlauben, so zu sein, wie sie gerade ist, ohne sie zu verdrängen oder sie sofort ändern zu wollen (ALLOWING).


Im dritten Schritt geht es um ein sanftes, neugieriges Erkunden (INVESTIGATING) unserer inneren Erfahrung - Gefühle, Körperempfindungen, Gedanken, Emotionen - und wir fragen uns, auf was uns unsere Emotionen hinweisen möchten. Was wir bzw. der verletzte Teil in uns gerade braucht oder sich wünscht, um heilen zu können. Hier werden z.B. die (unerfüllten) Bedürfnisse angesprochen, auf die uns eine schmerzliche Emotion hinweisen möchte.


Im vierten Schritt (NOURISHING) gilt es, herauszufinden, wodurch wir uns am besten genährt fühlen können, und uns mitfühlend und liebevoll um uns zu kümmern, um dem verletzten Teil in uns das zu geben, was er gerade am nötigsten braucht.


Dass wir unsere Verhaltens- und Reaktionsmuster selbst ändern können, ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen und auch meine eigene Erfahrung hat gezeigt, dass es tatsächlich funktioniert. Das hat mit der Neuroplastizität unseres Bewusstseinssystems zu tun. Mit der Kraft der Achtsamkeit, die in jedem von uns angelegt ist und die sich wie ein Muskel trainieren lässt, verfügen wir über alle Mittel, diese Transformation in Gang zu setzen.


Voraussetzung ist, dass wir offen und bereit sind, uns mit unseren Gefühlen, Gedanken und Emotionen auseinanderzusetzen. Und dass wir mitfühlend akzeptieren, dass bei uns allen hin und wieder schwierige Emotionen und Gedanken hochkommen, ohne uns dafür zu kritisieren oder gar zu verurteilen. Dass dies einfach zu unserem Menschsein dazu gehört. So lernen wir, besser und einfühlsamer mit uns und anderen umzugehen.

 


Am 8. November 2024 startet der nächste 10-wöchige Kurs, Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit, bei der Volkshochschule Landkreis Konstanz e.V.


Der Kurs umfasst folgende Module:


Kurstag 1:    Mit Achtsamkeit das Leben meistern

Kurstag 2:    Wie unsere Wahrnehmung und unsere Bewertungen unser Leben bestimmen

Kurstag 3:    Im Körper präsent sein

Kurstag 4:    Stress verstehen

Kurstag 5:    Kognitive Stressbewältigung

Kurstag 6:    Schwierigen Gefühlen und Gedanken mit Achtsamkeit begegnen

Kurstag 7:    Selbstmitgefühl entwickeln

Kurstag 8:    Achtsame Kommunikation

Kurstag 9:    Gut für sich sorgen

Kurstag 10:  Die Praxis lebendig halten


Es handelt sich um ein erprobtes ganzheitliches Bewusstseins-Training, bestehend aus Elementen von Meditation, Achtsamkeit in Bewegung, Gedankenerforschung, Selbstfürsorge und achtsamer Kommunikation. Es verbindet alltagsnahe Achtsamkeitsübungen mit Selbstreflexion und Erkenntnissen aus Medizin und Stressforschung.


Weitere Infos gibt es hier:


 


 

Eine weitere Möglichkeit, in die Achtsamkeitspraxis einzutauchen bietet der ebenfalls 10-wöchige Online-Kurs ACHTSAMKEITS-MEDITATION, der am 2. Oktober 2024 wieder startet.


Weitere Infos zum Kurs und Anmeldung unter:

 

 Optional Schnuppertermin 25. September 2024:

 


 

Quellen:

Bhante Gunaratana. Die Praxis der Achtsamkeit. Eine Einführung in die Vipassana-Meditation.

Doris Kirch | https://dfme-achtsamkeit.com Oliver Petersen. Gelassen durch den Alltag

Kolts, Russell; Chodron, Thubten. Die Weisheit eines offenen Herzens: Eine Synthese aus buddhistischer Praxis und westlicher Psychotherapie

Brach, Tara. Dein furchtloses Herz: Mit der RAIN-Methode schwierige Emotionen heilen



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