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Zeitlose Weisheit von Śāntideva

  • Margit Räuber-Mill
  • 19. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. Juni



 

„Wenn man eine Sache verändern kann, warum darüber unzufrieden sein?

Und wenn man daran nichts ändern kann, zu was nützt dann die Unzufriedenheit?“

– Śāntideva


Ein Weg, um mit den Herausforderungen des Lebens klug und gelassen umzugehen


Manche Worte berühren uns über Zeiten und Kulturen hinweg – so einfach, so klar, so tief.


Śāntideva, der berühmte indische Meister aus dem 8. Jahrhundert, hat eine solche Einsicht in wenigen Worten auf den Punkt gebracht.


In seinem Werk Bodhicaryāvatāra – Anleitung auf dem Weg zum Erwachen schreibt er im Kapitel über die Geduld:


„Wenn man eine Sache verändern kann, warum darüber unzufrieden sein?

Und wenn man daran nichts ändern kann, zu was nützt dann die Unzufriedenheit?“


Auf den ersten Blick wirken diese Worte fast wie ein banaler Ratschlag. Doch in ihnen liegt eine tiefe Weisheit:


Die eigentliche Quelle unseres Leidens: Wunsch und Wirklichkeit

Der eigentliche Konflikt, mit dem wir es in herausfordernden Situationen zu tun haben, liegt oft nicht in der Sache selbst – sondern in dem Spannungsfeld zwischen:

  • dem, was ist – also der Realität,

  • und dem, was unserer Meinung nach sein sollte – unseren Vorstellungen, Wünschen oder Bewertungen.


Wir erwarten – oft unbewusst –, dass das Leben frei von unangenehmen Erfahrungen sein sollte.


Und wenn es dann anders kommt, lehnen wir uns innerlich dagegen auf.


Doch das verändert nichts an der Realität – es macht die Situation nur schwerer für uns.


Ein alltägliches Beispiel: Der Stau:


Stell dir vor, du stehst im Stau.


Es geht nicht voran, du hast es eilig – und du beginnst, dich zu ärgern:


„Warum ausgerechnet jetzt? Das darf doch nicht wahr sein!“


Doch dein Ärger ändert nichts an der Situation – die Autos vor dir fahren deshalb nicht schneller.


Tatsächlich verstärkt die innere Anspannung nur das Unangenehme.


Würdest du stattdessen akzeptieren, dass sich an der Lage im Moment nichts ändern lässt, könntest du vielleicht einen Moment innehalten, durchatmen, Musik hören – oder die Zeit nutzen, um einfach zur Ruhe zu kommen.


Auch wenn es sich bei diesem Beispiel nicht um eine große Lebenskrise handelt, zeigt sich im Kleinen, was im Großen ebenso gilt:


Wenn wir den inneren Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, nicht auflösen können – weder durch Handeln noch durch bewusstes Loslassen –, entsteht innerer Widerstand. Und genau dieser Widerstand ist es, der unser Leiden verursacht.


Nicht die Tatsache, dass wir im Stau stehen, ist das Problem – sondern der Gedanke, dass es jetzt anders sein sollte.


Widerstand oder Weisheit?

Sorgen, Ärger oder innerer Widerstand helfen in keinem Fall – weder, wenn wir etwas ändern können, noch, wenn wir es nicht können.


Können wir etwas an einer misslichen Situation verändern, dann tun wir es. Und wenn es nichts zu ändern gibt, ist es letztlich unnötig, sich darüber aufzuregen. Dies ist Śāntidevas "Ratschlag" zur Dämpfung von Stress.


Warum sollten wir uns zusätzlich belasten – mit Gedanken, Sorgen oder Ärger, die das, was ohnehin schon schwierig ist, noch schwerer machen?


Ja, es ist menschlich – und es geht auch nicht darum, Gefühle zu negieren oder zu unterdrücken. Aber bei genauem Hinsehen ist es doch ein wenig absurd, sich über etwas aufzuregen, was man im Moment eh nicht ändern kann.


Wenn etwas nicht zu ändern ist, bleibt nur das Annehmen.


Dieses Annehmen ist kein Zeichen von Schwäche – sondern der Beginn einer inneren Freiheit, die Śāntideva so eindrücklich beschreibt.

 

Der Weg innerer Freiheit

Śāntideva zeigt einen Weg der inneren Freiheit – nicht durch Verdrängung oder Passivität, sondern durch unterscheidendes Gewahrsein.


Der erste Schritt ist, zu erkennen, was wir verändern können – und was nicht:


  • Was liegt in meiner Hand – was kann ich ändern?

  • Und was entzieht sich meinem Einfluss – und darf losgelassen werden?


Es ist eine Einladung, die Wirklichkeit anzuerkennen, wie sie ist – mit Klarheit, Geduld und Mitgefühl.


Wenn wir erkannt haben, was wir verändern können – und was nicht –, liegt der nächste Schritt darin, entweder ins Handeln zu kommen oder unseren Umgang mit dem Unvermeidbaren zu finden.


Und wenn wir etwas nicht ändern können, geht es darum, uns im Annehmen und Loslassen zu üben.


Akzeptanz ist keine Resignation

Akzeptanz bedeutet dabei nicht Resignation oder Gleichgültigkeit.

Sie ist eine bewusste und kluge Entscheidung:

die Realität so anzunehmen, wie sie ist – ohne gegen das Unvermeidliche anzukämpfen.


„Es ist, wie es ist.“


Loslassen ist dabei kein Verdrängen, sondern ein Prozess des bewussten Freigebens:

ein Akt des Annehmens von Dingen oder Situationen, die wir nicht kontrollieren können.


Dabei dürfen auch Gefühle, wie Ärger oder Traurigkeit, ihren Raum haben.


Wir dürfen dabei darauf vertrauen, dass wir unsere Erfahrung von Augenblick zu Augenblick zulassen können.


Wir können unsere Gedanken und Gefühle einfach beobachten – wie einen vorbeiziehenden Strom, ohne ihnen zu folgen und ohne auf sie reagieren zu müssen. Allein diese Haltung – das achtsame Beobachten ohne Reaktion – beruhigt nachweislich unser inneres Stresssystem.


Achtsamkeit hilft uns, diesen Raum offen und mitfühlend zu halten.


Achtsamkeit als Weg zur inneren Freiheit

Achtsamkeit lädt uns ein, den Moment zu erkennen, in dem wir beginnen, sinnlosen Widerstand zu entwickeln.

Und sie bietet uns die Möglichkeit, diesen Kampf zu beenden - nicht durch Gleichgültigkeit, sondern durch bewusstes Annehmen des Lebens, wie es sich gerade zeigt.


Wenn wir aufhören, gegen das Unvermeidliche zu kämpfen, kann eine neue Art von Freiheit entstehen – die Freiheit, nicht länger von den eigenen Erwartungen oder inneren Widerständen gefangen zu sein.


Und zugleich wächst daraus eine neue Form von Selbstwirksamkeit und Resilienz:

die Fähigkeit, den Widrigkeiten des Lebens mit mehr Gelassenheit, Klarheit und Mitgefühl zu begegnen.


Diese innere Haltung lässt sich ganz praktisch anwenden – mitten im Alltag:

Vielleicht hilft es dir, bei der nächsten Herausforderung innezuhalten und dich zu fragen:

  • Kann ich etwas ändern?

  • Oder darf ich üben, loszulassen?


Diese Haltung ist ein Ausdruck von Weisheit – und von Freundlichkeit und Mitgefühl sich selbst gegenüber. 

 









 

 


 
 
 

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