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Margit Räuber-Mill

Von der Notwendigkeit, uns auf unsere inneren Werte und unsere Verbundenheit zu besinnen


Das vergangene Jahr war wieder geprägt von traurigen und bedrückenden Nachrichten über kriegerische Auseinandersetzungen und Naturkatastrophen.


Da ist es nicht leicht, ruhig, gelassen und zuversichtlich zu bleiben. Wie konnte es so weit kommen? Die Errungenschaften der Wissenschaft und Technik haben in unserer modernen Welt enorm zu materiellem Wohlstand und Komfort geführt, so dass man sich wundern muss. Demzufolge müssten die Menschen heute glücklicher und zufriedener und damit auch friedlicher sein. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall zu sein. Der materielle Wohlstand unserer modernen Gesellschaft reicht offensichtlich allein nicht aus, um in der Welt mehr Zufriedenheit, Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.


Wie können wir mit all den Herausforderungen unserer heutigen Welt umgehen?

Wie können wir selbst zu mehr Zufriedenheit und Frieden in der Welt beitragen?


Wir können es, indem wir bei uns selbst anfangen, indem wir zuerst in uns selbst für Zufriedenheit und Frieden sorgen. Damit können wir auch zu einer glücklicheren und friedlicheren Welt um uns herum beitragen.


Sokrates, der antike griechische Philosoph sagte:

„Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen."


Jeder Mensch möchte glücklich sein und nicht leiden. Dabei suchen wir unser Glück vor allem und zunehmend in der äußeren Welt und vernachlässigen dabei unsere innere Seite, unsere inneren geistigen Kräfte.


Yuval Noah Harari schreibt in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“:

„Menschen jagen hinter Geld und Macht her, sie häufen Wissen und Reichtümer an, setzen Söhne und Töchter in die Welt und errichten Häuser und Paläste. Aber was sie auch erreichen, sie sind nie zufrieden. Wer in Armut lebt, träumt vom Reichtum. Wer eine Million hat, träumt von zwei Millionen. Wer zwei Millionen hat, will zehn. Selbst die Reichen und Schönen sind selten zufrieden.“


Wir investieren unsere ganze Lebenszeit und -energie vor allem in das einseitige Streben nach materiellen Gütern anstatt sie, zumindest teilweise, in die Entwicklung innerer Werte und in zufriedenstellende Beziehungen zu investieren. Dabei bestimmt unsere innere Verfassung maßgeblich, ob wir Glück oder Leid erfahren.


Das hat der historische Buddha Shakyamuni bereits vor über 2.500 Jahren erkannt. Er sagte:

„Den Dingen geht der Geist voran, der Geist entscheidet“


Um zu verstehen, was mit Geist gemeint ist, ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass der Mensch nicht nur aus dem Körper bzw. den körperlichen Bestandteilen besteht, sondern auch aus geistigen Elementen. Das, was wir gewöhnlich als Bewusstsein bezeichnen. Mit Geist ist also nicht etwa ein „Heiliger Geist“ gemeint, sondern unser Bewusstsein, unsere innere geistige Verfassung. Vor allem, wie wir Dinge wahrnehmen, was wir empfinden und was bzw. wie wir denken.


An bestimmten äußeren Bedingungen und Umständen, wie Krankheiten, persönlichen Schicksalsschlägen, wie der Verlust eines nahestehenden Menschen, Krieg oder Katastrophen können wir nichts oder nicht viel ändern. Wir haben gleichzeitig zumindest einen Einfluss darauf, wie wir darüber denken und wir damit umgehen. Eine sinnvolle Herangehensweise ist zum Beispiel, ganz in Shantidevas Sinne, Dinge, die wir nicht ändern können, so weit wie möglich zu akzeptieren und ihnen möglichst gelassen zu begegnen, anstatt ihnen Widerstand entgegenzusetzen oder in endlosen Grübeleien zu verfallen. Das bedeutet nicht, Zustände zu verdrängen, denn wir nehmen sie bewusst wahr. Wir lassen sie aber nicht unser Leben beherrschen, sondern begegnen ihnen mit einer akzeptierenden Haltung. In dem Wissen, dass wir sie sowieso nicht ändern können und unser Widerstand dagegen nur mehr Leid in uns erzeugt.


Es sind jedoch nicht nur diese äußeren Umständen, an denen wir wenig ändern können, die uns unzufrieden machen. Es geschieht vor allem im Kontext des alltäglichen Lebens und in der Begegnung und im Umgang mit unseren Mitmenschen. Hier werden bzw. sind Bewusstseinszustände wie Unzufriedenheit, Frustration, Ärger, innere Unruhe, Rastlosigkeit usw. in uns aktiv.


Unsere persönlichen Denk-, Bewertungs- und Verhaltensmuster spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie sind die Hauptursachen für unsere jeweilige innere Verfassung. Und auf diese können wir definitiv (selbst) Einfluss nehmen.

In diesen Kontext passt das folgende Zitat von Epiktet:

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir über diese Dinge haben“


Unsere innere Verfassung bestimmt maßgeblich, ob wir Glück oder Leid erfahren. Unsere eigenen Gedanken und Bewertungen erschaffen unsere eigene Wirklichkeit. Sie bestimmen darüber, wie wir das Leben erleben und sie prägen unser Leben kontinuierlich.


Die gute Nachricht ist, dass wir darauf Einfluss haben, dass wir unser Bewusstsein, unseren Geist schulen und transformieren können zu mehr Glück und Zufriedenheit.


Unser Inneres zu erforschen und uns bewusst zu werden über die Denk- und Verhaltensmuster, die uns und unserem Umfeld eher schaden als nützen, ist der erste Schritt.  Wir können uns dann von ihnen lösen und sie in eine heilsame Richtung verändern. Wir können lernen mit schwierigen Emotionen umzugehen, Mitgefühl mit uns selbst zu entwickeln, gut für uns sorgen, für uns selbst einzustehen - was bedeutet, auch im Außen, wenn nötig, Grenzen zu setzen - und gleichzeitig auch unseren Mitmenschen mit (mehr) Mitgefühl und Verständnis zu begegnen.

Damit schaffen wir die Ursachen für mehr Zufriedenheit, inneren Frieden und Stabilität und letztlich auch für mehr Lebensfreude.


Dass ein derartiger Schulungsweg, eine Transformation des Bewusstseins möglich ist, dass wir uns selbst steuern können, unsere Emotionen regulieren können, bestätigen nicht nur die einschlägigen Erfahrungen unzähliger Menschen, sondern zunehmend unsere modernen Wissenschaften, wie die Glücksforschung und die Neurowissenschaften (Stichwort „Neuroplastizität“).


Wir können unser Bewusstsein tatsächlich so formen, dass wir glücklicher und gelassener durch das Leben gehen. Ich selbst kann das aus eigener Erfahrung bestätigen, auch wenn ich mich erst am Anfang bzw. mitten auf dem Weg befinde. Meine innere Verfassung, die noch vor einigen Jahren von depressiven Verstimmungen, innerer Unruhe und Unsicherheit geprägt war, wandelt sich mehr und mehr zu innerer Ruhe, Stabilität und einem Gefühl der Verbundenheit, und gleichzeitig kehrt die Lebensfreude wieder, die mir abhandengekommen war.


Niemand kann behaupten, dass der Weg einer inneren Transformation leicht und schnell umzusetzen wäre. Doch ist es definitiv möglich Es ist ein gangbarer Weg und wir können Schritt für Schritt vorangehen. Entscheidend sind die Motivation und eine innere Haltung, die von Wertschätzung, Liebe und Mitgefühl geprägt ist, nicht zuletzt uns selbst gegenüber.


Für diesen Weg benötigen wir allerdings ein Instrument, ein Werkzeug, eine Methode. Das ist die Praxis der Achtsamkeit. Sie hilft und unterstützt uns auf diesem Weg. Sie belebt und stärkt u.a. unsere Fähigkeit zur Introspektion und unsere Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Und sie ermöglicht uns, uns immer wieder auf heilsame Bewusstseinszustände auszurichten und sie zu verstärken.


Die Herausforderungen unseres modernen Lebens können wir nur bewältigen, wenn wir als Menschen wieder näher zusammen rücken, unserer Verbundenheit gewahr werden und uns wieder mehr auf unsere inneren Werte besinnen. Wenn wir erkennen, dass wir alle miteinander verbunden sind, dass alles mit allem verbunden ist. Dann wird klar, dass es keinen Sinn macht, sich gegenseitig zu bekämpfen, nicht einmal im Kleinsten.


Wenn wir bei uns selbst anfangen, können wir dadurch auch gleichzeitig zu einer glücklicheren und friedlicheren Welt um uns herum beitragen.


Indem wir zunächst in uns selbst Frieden und Zufriedenheit entwickeln, wird es entsprechend ausstrahlen auf unseren Alltag, unser Umfeld, unsere Familie, den Freundes- und Bekanntenkreis, die Arbeit etc. Wer mit sich selbst im Reinen und im Frieden ist, wird auch anderen Menschen respektvoller, wertschätzender, wohlwollender, gütiger, verständnisvoller und mitfühlender begegnen. Und wir werden auch bald bemerken, dass eine liebevolle und mitfühlende Haltung anderen gegenüber vor allem uns selbst zugutekommt.


Dann können wir nach und nach versuchen, unser Mitgefühl und Verständnis auch auf Menschen, denen wir eher abgeneigt gegenüber stehen bzw. die uns auf irgendeine Weise geschadet haben, auszuweiten. In dem Wissen, dass niemand perfekt ist und dass alles, was ein Mensch tut - auch wenn es letztlich nicht konstruktiv oder sogar destruktiv ist - von dem Wunsch getragen ist, glücklich sein zu wollen und nicht zu leiden. Was nicht bedeutet, destruktive Handlungen einfach hinzunehmen und gutzuheißen oder sie zu verdrängen. Wir können uns bewusst sein über eine durchaus schwierige Situation - und uns auch abgrenzen und wehren, wenn es nötig ist - und gleichzeitig gleichmütig damit umgehen und unseren inneren Frieden bewahren. Mitgefühl und Verständnis für uns selbst und für andere schützt uns davor, Verhaltensweisen anderer persönlich zu nehmen. Damit schützen wir uns selbst gleichzeitig vor leidvollen emotionalen Zuständen und Handlungen, die letztlich nur bzw. am meisten uns selbst schaden.


Mögen wir gemeinsam durch unsere Achtsamkeit und Friedfertigkeit zu einer gerechteren, mitfühlenderen und friedvolleren Welt beitragen.

 

Quellen:

„Das Leben tiefer verstehen“ Dalai Lama

„Gelassen durch den Alltag“ Oliver Petersen

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